Wie Start-up-Gründer ihr eigenes Einhorn aufziehen

Immer mehr deutsche Start-ups erreichen Bewertungen von über 1 Mrd. Dollar. Daraus lassen sich einige Lehren ziehen.

Über Einhörner wird viel gesprochen, eines gesehen haben aber nur wenige. Dies gilt nicht nur für das Märchenwesen, sondern auch für seine wirtschaftlichen Pendants: Start-ups mit einer Bewertung von über 1 Mrd. US-Dollar.

Tatsächlich hat sich diese Spezies viele Jahre vor allen rund um US-Eliteuniversitäten versteckt, doch mittlerweile haben sich etwa 20 Exemplare in Deutschland gezeigt. Dazu gehört beispielsweise Celonis, das in München beheimatet ist und in diesem Jahr eine Bewertung von 11 Mrd. US-Dollar erreicht hat. Daher haben wir eine kleine Checkliste zusammengestellt, wie man auch in Deutschland ein Einhorn aufzieht.

Einhorn
Um ein Einhorn zu schaffen, braucht es mehr als einige tiefe Atemzüge. (Photo by James Lee on Unsplash)

1. Einhörner gedeihen nur in einem großen Markt

Eine zentrale Rolle sowohl für den wirtschaftlichen Erfolg als auch für die Bewertung eines Start-ups stellen die Größe des potenziellen Marktes, die Stärke der Wettbewerber und das daraus resultierende Marktpotenzial dar. Je größer der realistische Markt ist, desto größer ist also der Bewertungsspielraum. So war es auch bei Celonis.

„Das Interessante an unserer Technologie ist, dass sie in ganz unterschiedlichen Branchen und Unternehmensbereichen und für ganz unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden kann; das Marktpotenzial ist enorm“, sagt Remy Lazarovici von Celonis, im Interview mit top50startups.de.

Die Einhörner der Aileen Lee

Einhörner sind zwar schon durch die Fantasie der Menschen im Mittelalter galoppiert, doch in die Start-up Welt wurden sie erst 2013 eingeführt. Seinerzeit hat Aileen Lee, die Gründerin des VC-Fonds Cowboy Investors, einen Artikel auf dem US-Fachportal Techcrunch mit dem Titel veröffentlicht: „Welcome To The Unicorn Club: Learning from Billion-Dollar Startups“. Lee identifizierte Einhörner erstmals als (ehemalige) Start-ups mit einer Bewertung von 1 Mrd. US-Dollar und mehr.

2. Einhörner lieben es international

Daraus folgt natürlich auch, dass die heimischen Reviere zu klein zur erfolgreichen Aufzucht eines Einhorns sind. Einhornzüchter müssen also von Anfang an international denken. Die Expansion von Deutschland ins restliche Europa, in die USA und möglichst auch nach Asien stellt also geradezu eine Pflicht dar.

Ein gutes Beispiel dafür stellt das US-amerikanische Einhorn Netflix dar. Die erfolgreichen Eigenproduktionen wie Squidgame stammen mitunter zwar aus vergleichsweise kleinen Märkten wie Südkorea, werden aber international vertrieben. Durch die konsequente Internationalisierung werden also Skalierungschancen geschaffen, die einem lokalen Fernsehsender in Südkorea oder Deutschland verwehrt geblieben wären.

3. Einhörner stellen den Kunden in den Mittelpunkt

Entscheidend für ein rasches Wachstum ist, welchen Mehrwert ein Produkt oder eine Dienstleistung für den Kunden bedeutet. Doch das ist leichter gesagt als getan, schließlich gibt es hier viele Unwägbarkeiten. Daher hat sich in der Start-up-Praxis das Konzept des Minimum Viable Product (MVP) bewährt, welches auf der Lean-Start-up-Theorie von Eric Ries aufbaut.

Demnach geht ein Start-up möglichst schnell mit einem Minimalprodukt, dem sogenannten MVP, an den Markt. Anhand von diversen Feedbackschleifen wird es nach den Kundenbedürfnissen kontinuierlich weiterentwickelt. Damit wird nicht nur eine Optimierung des Kundennutzens erzielt, sondern gleichzeitig auch die Zahlungsbereitschaft des Marktes getestet. Denn Start-ups hilft es kaum weiter, wenn sie ein interessantes Produkt entwickeln, niemand aber dafür zahlen will. Nur wer ein attratives Produkt oder eine Dienstleistung hat, wird zahlungskräftige Kunden anlocken. Eben dies sind zwei Kernfaktoren, damit aus einem Start-up ein Einhorn wird.

4. Einhörner sollten disruptiv sein

Die größten Wachstumschancen bieten sich jedoch, wenn nicht nur das Marktpotenzial groß ist, sondern auch noch keine wirkliche Konkurrenz besteht bzw. diese nicht leicht in den neuen Markt einsteigen kann. Idealerweise sollte die Geschäftsidee disruptiv sein, also mit den herkömmlichen Geschäftsmodellen, Techniken oder Produkten brechen.

Auch dies hat Netflix vorgemacht, indem es den mühsamen Gang zu Videotheken zum Ausleihen eines Videos, der Bezahlung und der Rückgabe mit seiner Flatrate-Streaminplattform überflüssig gemacht hat. Plötzlich hatte sich das jahrzehntealte Geschäftsmodell der Videotheken erledigt.

Doch auch Celonis war disruptiv. Die Münchner schufen das Process Mining, mit dem sich die Abläufe in Großunternehmen auch mittels Künstlicher Intelligenz analysieren und optimieren lassen. Die Pointe dabei: Dieses Process Mining ist nicht nur disruptiv, sondern lässt sich in den unterschiedlichen Branchen einsetzen. „Wir waren die Ersten, die die Relevanz von Process Mining erkannt, und aus einem akademischen Ansatz eine breit anwendbare Software auf den Markt gebracht haben“, erinnert sich Lazarovici.

5. Einhörner brauchen das richtige Personal

Celonis ist gerade einmal zehn Jahre alt und besitzt nach eigenen Angaben bereits mehr als 1800 Mitarbeiter an 15 Standorten weltweit. Keine Frage: Die Skalierung eines Geschäftsmodells lässt sich ohne drastischen Mitarbeiteraufbau kaum bewerkstelligen, was in Zeiten des Fachkräftemangels keine kleine Herausforderung darstellt. Darüber hinaus müssen die neuen Mitarbeiter auch zur Kultur des Unternehmens passen. Lazarovici, der selbst der erste Angestellte von Celonis war, erzählt:

„Die größten Learnings haben sicherlich mit Recruiting zu tun. Zum Beispiel haben wir zu früh Senior-Vertriebsmitarbeiter eingestellt, die nicht zu unserer Kultur gepasst haben. Gleichzeitig hatten wir in den ersten Jahren keine gefestigten Vertriebsstrukturen. Das hat absolut nicht funktioniert und war eine sehr teure Lektion. Dafür haben wir aber gelernt, wie wir unsere internen Strukturen richtig aufbauen, die richtigen Talente für Celonis identifizieren und wie wichtig dabei das richtige Timing ist.“

Am wichtigsten ist es aber, ein erstklassiges Team aufzubauen. Am Ende sind es die Menschen, die eine Vision zum Leben erwecken und eine starke Unternehmenskultur prägen.

Remy Lazarovici, erster Mitarbeiter von Celonis und verantwortlich für die Region EMEA

6. Einhörner gedeihen in VC-freundlichen Zeiten

Einhörner gedeihen in Zeiten niedriger Zinsen besonders gut. Denn mangels Alternativen fließen heute immer mehr Gelder ins Venture Capital-Geschäft (VC). So beliefen sich die VC-Investitionen in Deutschland im ersten Halbjahr 2021 nach einer Erhebung des Bundesverbandes Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften auf die Rekordsumme von knapp 2,3 Mrd. Euro. Im Vorjahreszeitraum waren es mit keinen 1,1 Mrd. Euro nicht einmal die Hälfte. Vor fünf Jahren waren es sogar nur 521 Mio. Euro gewesen. Damit haben auch die Bewertungen von Start-ups kräftig angezogen, wodurch derzeit die Aufzucht von Einhörnern deutlich leichter fällt als noch 2016.

7. Welche Einhörner es in Deutschland gibt

Mittlerweile gibt es rund 20 Einhörner in Deutschland, wie aus einer Aufstellung des Brancheninformationsdienstes CBInsights hervorgeht. Zusammen kommen sie auf eine Bewertung von über 62 Mrd. US-Dollar. Darunter befinden sich jedoch auch Ableger von Konzernen, die man kaum als ehemalige Start-ups bezeichnen kann. So fungiert die NewCom Group aus Unterföhring nur als Dachgesellschaft von Online-Aktivitäten von ProSiebenSat.1. Otto Bock wiederum wurde bereits vor 100 Jahren gegründert. Abgesehen davon leben deutsche Einhörner entweder in Berlin oder München. Die Tabelle gibt den Stand im November 2021 wieder.

Name Bewertung in Mrd. US-Dollar Hauptsitz Branche
Celonis 11 München Datenmanagement und Analyse
N26 9,23 Berlin Banken
Personio 6,3 München Online-Dienstleistungen
TradeRepublic 5,3 Berlin Fintech
Otto Bock Healthcare 3,52 Duderstadt Healthcare
Gorillas 3,1 Berlin Lieferdienste
FlixMobility 3 München Personenverkehr
Contentful 3 Berlin Internet
NuCom Group 2,2 Unterföhring Online-Handel
Mambu 2,08 Berlin Fintech
Tier Mobility 2 Berlin Reise
wefox 1,65 Berlin Fintech
Scalable Capital 1,4 München Fintech
Forto 1,2 Berlin Logistik
GetYourGuide 1,1 Berlin Reise
Sennder 1,1 Berlin Logistik
Enpal 1,1 Berlin Internet
Omio 1 Berlin Reise

Berlin Brands

1 Berlin E-Commerce
Agile Robots 1 München Hardware
Razor 1 Berlin Retail

8. Noch nie war die Zeit für Einhörner günstiger

Venture Capital-Investitionen und damit auch Start-ups hatten es in der Vergangenheit in Deutschland oft schwer. Doch dies scheint sich zu wandeln: Mangels Investitionsalternativen fließt immer mehr Geld in Start-ups, bei Abläufen und dem rechtlichen Umfeld haben sich längst Marktstandards etabliert, innerhalb und außerhalb von Hochschulen gibt es zahlreiche Förderinitiativen für Start-up-Gründer. Noch nie war die Situation in Deutschland für Einhörner so günstig wie heute.

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