Pivot oder die Kunst, ein Start-up zu retten

Die meisten Start-ups benötigen mindestens einen Neustart, bevor sie erfolgreich werden.

Ein „Pivot" oder „Schwenk" unternimmt ein Start-up, wenn es mit seinen Produkten und Geschäftsmodellen am Markt gescheitert ist und versucht, im zweiten Anlauf erfolgreich zu sein. Es handelt sich aber um kein Scheitern, sondern um einen Kernbestandteil des Lean Start-up-Modells nach Eric Ries. Misserfolg bedeutet lediglich, dass man mit Kunden und deren Feedback seine Ideen so lange fortentwickelt, bis sich Erfolg einstellt. Wir stellen erst ein Beispiel und dann die verschiedenen Formen des Pivot vor.

Pivot
Die meisten Start-ups machen eine gründliche Änderung ihres Geschäftsmodells durch. (Photo by the blowup on Unsplash)

1. Das Beispiel von UpReach

Eigentlich hätte es für die Gründer von UpReach Anfang 2020 kaum besser laufen können. Das seinerzeit nur drei Jahre alte Start-up zählte fast 30 Mitarbeiter, rund 600 Kunden und generierte einen Millionenumsatz. Die Idee: UpReach stellte bei Messen, in Sportstadien und bei sonstigen Events seine Selfie-Konsolen auf, von denen die Besucher direkt in den Sozialen Medien posten konnten. „Mit diesem Angebot haben wir eine Brücke zwischen der physischen und digitalen Welt geschlagen“, erzählt Marius Hepp, CEO und Mitbegründer von UpReach.

Zu den Kunden zählten klingende Namen wie Adidas, Harley Davidson und Porsche. Doch mit dem ersten Lockdown im März 2020 schien alles vorbei zu sein. „Innerhalb kürzester Zeit sind bei uns 90 Prozent des Umsatzes weggebrochen“, erinnert sich Hepp. UpReach war gezwungen, sich von drei Vierteln seiner Mitarbeiter zu trennen. „Es war ein schmerzhafter Prozess. Nichts schien mehr weiterzugehen.“

Doch nur gut ein Jahr später zu Ende des zweiten Lockdowns im Mai 2021 blickt Hepp optimistischer in die Zukunft. Die Kunden kommen zurück, die Umsätze haben sich erholt und längst wird wieder eingestellt. Diesen Erfolg hat ein gründliches Umkrempeln der Unternehmensstrategie ermöglicht, der „Pivot“.

Heutzutage bietet UpReach die Möglichkeit, von Plakaten oder Flyern der Unternehmen per Augmented Reality in die digitale Welt wie Social Media zu gelangen. Geholfen hat UpReach bei dem Pivot der enge Kontakt mit den Kunden. „Wir haben uns einfach ganz genau die Nöte unserer Kunden angehört und was sie brauchen“, erzählt Hepp. Geholfen haben weiterhin die bereits existierende Soft- und Hardware sowie das Know-how in Augmented Reality. Der Brückenschlag zwischen realer und digitaler Welt werde für die Zukunft des Marketings entscheidend werden, meint Hepp. „Diese beiden Welten werden für lange Zeit im Markt bestand haben.“

2. Was ist überhaupt ein Pivot?

Auch ohne Corona gehört für einen Großteil der Start-ups ein gründlicher Schwenk im Geschäftsmodell, der „Pivot“, zum Alltag. Den Begriff hat der Lean Start-up-Guru Eric Ries geprägt. Demnach gehen Unternehmen mit einem Minimum Viable Product an den Markt, holen Kundenfeedback ein und entwickeln so ihr Produkt kontinuierlich weiter. In dieser Philosophie stellt ein Pivot lediglich eine besonders große Anpassung des Produkts bzw. des Geschäftsmodells an den Markt und die Kundenbedürfnisse dar. Konkret werden mindestens zehn Formen des Pivots unterschieden.

Mehr zu den Fachbegriffen der Szene findet ihr in unserem Start-up-ABC

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Ein Pivot besteht in der Änderung der Strategie, ohne die Vision zu ändern.

Eric Ries (Foto: Margot Duane CC BY SA 2.0)

3. Die zehn Hauptformen des Pivot nach Eric Ries

1. Zoom-in pivot:

Gründer stellen fest, dass ein Teil ihres Produktes bzw. ihrer Dienstleistung viel erfolgreicher ist als der Rest. Dann können sie sich voll auf dieses Teilprodukt konzentrieren und darauf größere Ressourcen allokieren, um so den wirtschaftlichen Erfolg voranzutreiben.

2. Zoom-out pivot:

Dies stellt das Gegenteil des oben genannten Pivots dar. Wenn ein Produkt oder eine Dienstleistung nicht breit genug für den Erfolg aufgestellt ist, dann kann in der Verbreitung des Produktangebots der Schlüssel zum Erfolg liegen.

3. Customer segment pivot:

Zwar ist das Produkt erfolgreich, nicht jedoch bei der ursprünglich intendierten Zielgruppe, sondern bei einer anderen. Damit wird eine Anpassung der Zielgruppe für durchschlagenden Erfolg erforderlich.

4. Customer need pivot:

Oft stellen Gründer fest, dass ihre Produktlösungen bei den Kunden nicht ankommen bzw. diese dafür nicht genügend zahlen wollen. Dann muss das Start-up noch einmal genau untersuchen, für welche Problemlösung Kunden tatsächlich zu zahlen bereit sind. Es gilt also noch einmal gut zuzuhören, um die Probleme der Kunden zu verstehen.

5. Platform pivot:

Ein Start-up beginnt mit einer App, die aber so erfolgreich ist, dass sie sich zu einer ganzen Plattform weiterentwickelt. Natürlich ist es auch möglich, dass eine als Plattform intendierte Lösung nur als App erfolgreich ist. Manchmal macht ein Wechsel Sinn.

6. Business architecture pivot:

Viele Gründer streben ein Geschäft mit einer hohen Profitmarge an, die schon bei einem geringen Geschäftsvolumen betriebswirtschaftlich funktioniert. Ein anderer Ansatz besteht in einer geringen Marge bei großen Volumen. Auch hier kann sich ein Wechsel der Ansätze lohnen.

7. Value capture pivot:

Jedes Start-up überlegt sich, wie es Geld verdienen will. Gelegentlich wird ein Wechsel der Monetarisierungsstrategie nötig, beispielsweise wenn vom Einzelverkauf auf ein Abonnementmodell umgestellt wird. Gerade technisch orientierte Gründer unterschätzen oft die Rolle, die eine kluge Monetarisierungsstrategie spielt.

8. Engine of growth pivot:

Start-ups wollen wachsen, wobei drei grundsätzliche Wachstumstreiber unterschieden werden. Bei dem viralen Wachstumsmodell (viral growth) empfehlen Kunden das Start-up und seine Produkte weiter, so dass es wie bei einer Pandemie zu einem exponentiellen Wachstum kommt. Weiter kann das Wachstum durch bezahltes Marketing angekurbelt werden, was als bezahltes Wachstum (paid growth) bezeichnet wird. Drittens kann das Start-up versuchen, dass die Kunden dem Start-up treu bleiben und nicht wieder abspringen, dem „klebrigen Wachstum“ (sticky growth). Oft ist es sinnvoll, die Wachstumstreiber seines Start-ups neu zu gewichten.

9. Channel pivot:

Hierbei handelt es sich schlicht um einen Wechsel der Vertriebskanäle: Online, Flagship Stores, über Partner usf.

10. Technology pivot:

Ein grundsätzlicher Wechsel der genutzten Technologie kann sinnvoll sein, weil diese z.B. mehr Mehrwert generiert, technisch moderner oder kostengünstiger ist. Dabei kann es sich beispielsweise um den Wechsel von einer in PHP zu einer in Java programmierten Lösung handeln.

4. Fazit: Durch Pivot zum Erfolg

Pivots sind kein Schandfleck in der Unternerhmensgeschichte von Start-ups. Vielmehr gibt es zahlreiche Beispiele, wie aus einer Überarbeitung des Geschäftsmodells ein Milliardenerfolg wurde. So startete Youtube ursprünglich als Dating-Website, bei der Kandidaten u.a. kleine Videos von sich hochladen konnten. Wie sich heraustellte, gibt es für das Hochladen und Auspielen von Videos einen Riesenmarkt. Ein anderes Beispiel stellt Flickr dar. Ursprünglich handelte es sich um einen Online-Gaming-Anbieter, der Spieler ganz nebenbei den Austausch von Fotos erlaubte, womit der Nerv der Kundschaft offenbar besser als mit dem Spielangebot getroffen wurde. Dies sind nur zwei Beispiele, wie sich Start-ups durch ein simples Zoom-in-Pivot zu Einhörnern in Einhörner verwandelten.

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